Liebes Archiv … Einträge vom Juli 2007

Kollaps als Chance - Aussteiger für einen Tag.

Natürlich erregte die visuelle Botschaft, daß einzig eine gewisse italienische Gesellschaft noch Flüge zum Zähneknirschpreis nach Valencia anbot, bei mir einiges Mißfallen und Stirnrunzeln. Zwischenstation in Mailand, Erinnerungen glommen auf, damals, vor ein paar Wochen, war auf dem Weg von Krakau nach Venedig meine Reisetasche hier hängengeblieben und erst bei der Abreise fünf Tage später zu mir zurückgekehrt. Jeden Tag hoffen und bangen, gefesselt an Haus und Telefon, unfrei und schmutzig, zum Wechselwäschekaufen gezwungen. Schreckliches Erlebnis. Doch das war längst vergessen. Also buchte ich kurzentschlossen und neumodisch am Freitag und preßte alles Nötige in meinen Rucksack, die Losung Nur Handgepäck sollte mich vor dem Schlimmsten bewahren.
Und tatsächlich, am nächsten Nachmittag betrat ich spanischen Boden und gab mich der Verwunderung hin, der Flugreise ohne Zwischenfälle beigewohnt zu haben. Nachdem ich mich genug gewundert hatte, verbrachte ich kurze fünf Tage in der Sonne Südspaniens.
Am Mittwoch quälte ich mich dann wieder durch die Schlange und die verschärften Abfertigungskontrollen, die einem das Fliegen offenbar nachhaltig verleiden wollen, alle Sprengstoffe in durchsichtige Plastiktüten, Getränke in den Müll, Hosen in die Kniekehlen, Metallknöpfe aus dem Hemd schneiden, Schuhe aus, das übliche Programm.

In Mailand angekommen, endlich der Hammer: Weiterflug gestrichen. Bitte begeben sie sich zum Schalter, wo die anderen tausend Jammergestalten schon in vier Reihen stehen und kaum vorwärtskommen. Es war dreiviertel acht Uhr abends und der Monitor zeigte immernoch die geplante Abflugzeit an.
Es gab verschiedene Reaktionen der Fluggäste - besser: der Kunden die gern Fluggäste geworden wären. Der deutsche Geschäftsreisende in Freizeitkleidung schimpfte wichtig, die amerikanische Geschäftsreisende aus Berlin schien den Tränen nah - sie kam aus Mailand, war kurz vorher abgefertigt worden, als die nette Nachricht kam, die italienischen Herren scherzten den Ärger hinweg, das spanische Mädel aus Valencia vermißte ihre Koffer, der Venezolaner vermutete seine noch in Bologna, das ältere spanische Bauernehepaar - beide sonnengebräunt und kugelrund - verstand garnichts, kurzum, ein Sprachen- und Reaktionenbabel zwischen Schalter hunderteinundzwanzig und hundertvierundzwanzig, das scheinbar kein Ende nehmen wollte.
Die armen Schweine hinter den Schaltern, die die letzten demonstrativen Zuckungen ihrer Kollegen ausbaden mußten, versuchten die immer zahlreicher heranströmenden Gestrandeten umzubuchen ohne dabei von den zuckenden Blitzen aus deren Augen zu Asche verbrannt zu werden. Und irgendwann nach zehn war es auch für mich soweit, Anschlußflug am nächsten Nachmittag, Protest müßig, bitte melden sie sich mit diesem Gutschein unten bei Airport2000, von wo sie in ein Hotel gebracht werden.
Alle, die den ersten Schritt erfolgreich absolviert hatten, waren hier unten und warteten, daß ihr Name aufgerufen würde. Und schon wurden sie herausgebrüllt, soviele wie in den Bus paßten, auch meiner, los ging es in die Nacht, durch die Dörfer, der Flughafen liegt nicht, wie man vermuten könnte, nahe Mailand, das erste Hotel flog an uns vorbei - wahrscheinlich für die anderen tausend, die früher aufstehen mußten-, ein See reflektierte ferne Lichter. Angekommen im Viersternehotel Continental in Biandronno wurden wir mit Zimmern und einem guten kalten Buffet versorgt, wider besseres Wissen schlug ich mich um halb eins nachts voll und spülte alles mit einer Flasche Rotem herunter - alles für umme!
Nach Mailand würde man eineinhalb Stunden brauchen, das schlug ich mir also aus dem Kopf, ließ den Pool links liegen und suchte nach den Angaben des Rezeptionisten den Weg zum See. Ich schlenderte den gut ausgebauten Radweg entlang, ältere Herrschaften zischten unermüdlich an mir vorbei und guckten komisch, wenn ich mit dem Objektiv mal wieder irgendwo in die Büsche zielte. Alles Privateigentum, die Grundstücke am See blockieren den Zugang. Ich mußte ein ziemlich langes Stück laufen, um wenigstens von einem Steg im Schilf den See und die Ruderer beim Training zu sehen. Und dann auch wieder zurück, der Bus wartet bestimmt nicht.
Noch eine Dusche im Hotel und schon war ich wieder im Flughafen, vertrieb mir die Zeit mit einer Zeitung und konnte dann tatsächlich in den Flieger steigen, der mich und die anderen Leidenden, die um mich herum saßen und teilweise nur zwei Stunden im Hotel verbracht hatten, nach Berlin brachte. Es hätte schlimmer kommen können! Natürlich kann man nicht erwarten, daß sich das Wetter endgültig für Sommer entschieden hätte! So denke ich schonwieder daran, in den Flieger zu steigen, der Sonne entgegen… aber nicht mit der grün-weißen, die bleibt wohl erstmal am Boden.

[] Berlin / für Donnerstach, 19. Juli 2007

Abgetaucht.


Einen ganzen Tag verwandte ich darauf, den südöstlichen Teil des trockengelegten Flußbettes in Augenschein zu nehmen, genauer, die Stadt der Künste und Wissenschaften.
Am äußersten Ende befindet sich L' Oceanogràfic, hier versammelt sich die Haute Volee, das Who is who der Tierwelt der Meere und Ozeane, allerdings nicht ganz freiwillig. Die lebenden Exponate mit Flügeln - abgesehen von den fliegenden Fischen - werden oberirdisch präsentiert, die Wasserbewohner dagegen in unterirdischen Aquarien. Hier ist das Licht gedämpft und Fotografieren nur ohne Blitz gestattet, das freut den Hobbyfotografen. Es gibt mehrere Plexiglastunnel, die jetzt so in Mode sind, wo man die Fische von unten sehen kann. Haie und Mantas (die Rochen) tummeln sich da im Tropenhaus, Walrosse und Belugas im arktischen Haus, ein paar Quoten-Pinguine im antarktischen Terrarium. Ein großes Delfinarium, wo sich kleine und große Tümmler zum Affen machen müssen, fehlt auch nicht.
Von hier aus flußaufwärts stößt man zunächst auf das Museu de les Ciències, wie es auf Valencianisch heißt (man spricht einen Dialekt und alles ist hier quasi zweisprachig beschriftet). Das weiße Gerippe könnte ein Raumschiff-Hangar gewesen sein, bevor es hier hingestellt wurde. Das von Wasser umgebene L' Hemisfèric mag das dort einzuparkende Raumschiff sein, vielleicht auch ein elektrisches Gürteltier mit Austerngenen. Neben den beiden ein langes Gerippe, unter dem eine Ausstellung über die Titanic Platz gefunden hat. Am Ende dieser modernen Flußstadt steht, durch eine Brücke abgetrennt, der Palau de las Arts, eine Mischung aus pummeligem Raumschiff und sprungbereitem Fischmaulfrosch mit Hirnsaugstachel a la Starship Troopers, je nachdem, von wo man kiekt. Hier und da wird noch gefummelt und gebaut, wenn nicht gerade Siesta oder andere Pausen anstehen, aber Anziehungspunkt ist das Areal schon jetzt und interessanter Gegenpol zur Altstadt.

[] Valencia / Mittwoch, 18. Juli 2007

Aufgewärmt.


Selbst eine gewisse italienische Fluggesellschaft, von der an anderer Stelle nochmal die Rede sein wird, konnte nicht verhindern, daß ich am Samstag im sonnigen Valencia landete. Wer kann wochenlang dieses beschissene Berliner Wetter aushalten ohne zu kollabieren? Valencianesen und Valencianeserinnen haben sich recht erfolgreich an das Klima angepaßt, was auch in meinem Alter noch zu schmerzhaften Hals- und Gliederschmerzen führen kann, aber wie beugt man dem vor? Zuhause bleiben? Falsche Antwort. Taschentuch zum Mundabwischen einstecken. Geschmack haben sie nicht, aber auch nichts zu verbergen.
Valencia ist die drittgrößte Stadt des Landes und hat sich dank Eingemeindung diverser Vorstädte und Dörfer bis ans Meer herangearbeitet, das einfach mit der Straßenbahn erreichbar ist. Der Strand ist breit und wochenends gut besucht. Sattgesehen und melanomvorbereitet bietet sich ein Abendessen in der Gran Via an, so man einen Tisch ergattern kann. Zu heimischer Essenszeit stehen die Chancen gut, sofern die Küche schon besetzt ist, gegen halb elf, der allgemeinen lokalen Essenszeit, sieht es anders aus.
Der Kampf um die Amerikanische Tasse ist vorbei, geblieben sind abendliche Treffpunkte am dafür errichteten Hafen, die zum Beweis des Deutschen Tanzabzeichens in Bronze oder höher einladen, der Einstieg in die Gesellschaft, auch ohne fluente Sprachkenntnisse.
Wochentags kann man die Erkundung der Altstadt einflechten, Kathedralen und andere Gotteshäuser warten, als auch eine riesige Markthalle und zahlreiche Museen. Bierbars und Cafés laden zum Verschnaufen und Auftanken ein. Für Spaziergänger und Picknicker wurde eigens der Fluß in die Außenbezirke verlegt, was ebenso Raum für verschiedene neue Kulturstätten geschaffen hat (dazu mehr im nächsten Beitrag). Mit guten Schuhen und etwas Orientierungsvermögen (dafür muß man nicht den Orient besucht haben) läßt sich die Altstadt durchaus an einem Tag durchmessen. Wie gewöhnlich zog ich mich notfalls in dunkle, schwer einsehbare Ecken zurück, um den Stadtplan zu Rate zu ziehen. Die Angewohnheit der Einheimischen, wann immer möglich den Schatten zu suchen, hilft dem vom Berliner Sommer Geschädigten durchzuhalten.

[] Valencia / Mittwoch, 18. Juli 2007

Der Skythe, das unbekannte Wesen.


Wer kennt sie nicht, die Skythen, das alte Reitervolk?! Etwa ab dem achten Jahrhundert vor unserm Herrn verstreuten sie und verwandte Stämme ihre Hügelgräber zwischen dem Altai-Gebirge, dem Schwarzen Meer bis Budapest. Auffällig unauffällig ragen die sogenannten Kurgane aus der manchmal platten Steppe heraus. Trotzdem viele schon früh geplündert wurden, haben sich noch ein paar nette Exponate gefunden. Die Fürsten wurden in vollem Ornat und mit Gattin, Hofstaat nebst hunderten Pferden bestattet. Besonders gut sind die Grabbeigaben und Toten im Altai erhalten, da die Grabkammern eingefroren waren. Unsere - wie so oft - unterschätzten Vorfahren haben bereits sehr filigrane Gebrauchsgegenstände und Schmuckstücke aus Gold und Bronze gefertigt und waren nicht nur mit einem Lendenschurz bekleidet - wäre auch etwas kühl gewesen. Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau läuft noch bis Ende August. Wer etwas über die Baukunst der Khmer in Kambodscha lernen möchte, Angkor und so, der hat dort bis Ende Juli Gelegenheit dazu.

[] Berlin / Dienstach, 10. Juli 2007

Padua - Zwischen zwei Schauern - Rückblende.


Wir nehmen das unberechenbare Wetter von Krakau mit uns nach Italien, Sommer kann man das ja nicht nennen und für gelungene Fotos eignet sich blauer Himmel irgendwie besser. Aber trotzdem muß ich im Hinterhof einige Experimente machen.

[] Berlin / Freitach, 06. Juli 2007

Leitfaden zum Verhalten nach Waldspaziergängen.

Milde Winter haben zu verstärkter Ausbreitung des Holzbocks geführt. Die auch als Ixodes ricinus oder Zecke bekannte Milbenart gilt als Überträger hinterlistiger Bakterien namens Borrelia burgdorferi, die Naturphobie Hirnhautentzündung verursachen können. Hier ein paar Tips zum Verhalten nach dem Besuch ihres Lebensraums (vgl. Wald, Wiese, auch Park, nicht Parkplatz).
Zecken reisen per Anhalter. Nach einem Aufenthalt in o.g. Zonen ist das baldige Ablegen der getragenen Kleidung daher dringend angeraten. Es empfiehlt sich allerdings, das Entkleiden erst zu Hause und nur in Notfällen bereits in Stationen oder Beförderungsmitteln des Öffentlichen Personenverkehrs o.ä. vorzunehmen (vgl. Erregung öffentlichen Ärgernisses).
Sorgfältiges Absuchen der Textilien nach Holzböcken, auch Waschen ist empfohlen (Tip: vorher Monatsfahrkarten und Geldscheine etc. entfernen, Pflegeanleitung auf dem Etikett beachten).
Vor Untersuchung des gesamten Körpers ist eine komplette Reinigung von Vorteil (vgl. Duschen). Dabei können zugleich Trittbrettfahrer (Raupen, Fliegen, Ameisen, Grashüpfer o.ä.) als auch mögliche Verschmutzungen und unangenehme Gerüche beseitigt werden.
Es ist sinnvoll, Zecken vom Körper zu entfernen, bevor sie sich bis zur Größe eines Fußballs vollgesogen haben, um lebensbedrohliche Blutverluste zu vermeiden. Zeckenzangen sind in Apotheken erhältlich. Vorsicht! Der Gebrauch von Rohr- oder Kombizangen, Stemmwerkzeugen und brennenden Zigaretten gilt hierbei als ungeeignet und gefährlich.
Zur Erhöhung der Erfolgsquote bei der Untersuchung unbedingt ärztlich verordnete Sehhilfen nutzen (soweit zutreffend, vgl. Autofahren). Das erspart auch Überreaktionen bei plötzlich auftauchenden Leberflecken, bösartigen Wucherungen o.ä.
Hilfreich ist die Einbeziehung anderer Personen, vorzugsweise aus dem körperlich nahestehenden Kreis (nach Absprache, Handzeichen oder Codewort vereinbaren), bei Nichtverfügbarkeit und konkreten Verdachtsmomenten auch Angestellten des öffentlichen Dienstes (vgl. Polizei und Leibesvisitation, nicht Hausdurchsuchung).
Zecken verbergen sich oft an schwer zugänglichen Körperstellen. Es ist daher angeraten, die Schamgrenze (soweit vorhanden) zu überschreiten, da auch Zecken nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen darauf keine Rücksicht nehmen. Die Untersuchung der Intimzonen sollte Teil der Prozedur sein (Tip: den Beinen von den Füßen in Richtung Körpermitte folgen, wo diese in den Rumpf übergehen, beginnt der sog. Schambereich).
Hautfalten, Zehenzwischenräumen und anderen Furchen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen, dennoch gilt hier der Einsatz von Hochdruckgeräten, selbst mit Preßluft oder kaltem Wasser betrieben, als riskant und kann sich bei unsachgemäßer Anwendung nachteilig auf die Gesundheit auswirken. Von deren Benutzung wird daher üblicherweise abgeraten. Auch die Teilnahme an Gewaltdemonstrationen mit Polizeieinsatz (siehe Wasserwerfer) ist in diesem Fall als ungeeignet einzustufen.
Das Kopfhaar (soweit vorhanden) sollte vom Haaransatz beginnend ausgekämmt werden, Vorsicht in der Nähe künstlicher Haarteile und Neuanpflanzungen. Kopfverletzungen können vermieden werden, wenn der Kamm nur sanft aufgesetzt wird, ohne in die Haut einzudringen. Das Auskämmen der gesamten Köperbehaarung bei sehr starkem Bewuchs kann zielführend sein, notfalls Rat bei Hundehaltern suchen. Achtung! Zuerst Körperschmuck entfernen! Vorherige großflächige Heißwachs-Anwendung kann die Arbeit vereinfachen. Notrufnummern bereithalten!
Das sofortige Festsetzen aufgefundener Holzböcke ist angeraten, Fluchtgefahr! Kaltblütigen Zeitgenossen sei das Zerquetschen des Kopfes (Achtung! nur den der Zecke!) ans Herz gelegt, weniger grausam erscheint das Aufziehen der Trophäen auf Stecknadeln zum späteren Herumreichen in kleinem Kreise (vgl. Kaffeekränzchen).
Hinweise zur Prävention: Die Wirksamkeit von Zauberformeln, Beschwörungen, Bannsprüchen und Amuletten zum Schutz vor Holzbockbefall wurde bisher nicht sicher nachgewiesen. Das laute Hören oder Singen deutscher Volksmusik wird von Experten ebenso als wirkungslos angesehen.
Doppelseitiges Klebeband, um den gesamten Körper gewickelt, Ganzkörperkondome oder der Einsatz von Flammwerfern vor Betreten des Waldes können schützen, schränken u.U. aber die Bewegungsfähigkeit ein oder schmälern die Erlebnis.
Geeignete Kleidung und das Absuchen des Körpers nach Waldaufenthalten (s.o.) gelten als sinnvoller Kompromiß. Viel Spaß im Wald.

[] Berlin / Montach, 02. Juli 2007

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.